Die Angst des Staates vor den Massen - Niederhalten der Bewegung durch Spaltung und durch Vorschriften

Seit es die Bundesrepublik gibt, proklamierte sie sich selbst als das Organ aller ihrer Bürgerinnen und Bürger. Zugleich hatte sie die größte Angst vor ihren Willensäußerungen, wenn diese nicht vorher kanalisiert und gefiltert worden waren.

So wurde - im Gegensatz zu allen andern halbwegs parlamentarischen Gemeinwesen - das Grundgesetz allein vom Parlamentarischen Rat abgesegnet, nie aber einer Volksabstimmung unterworfen. Als es um die Wiederbewaffnung ging, wurden versuchte Abstimmungen darüber unter den Bürgern vom Verfassungsgericht verboten. Auch die Wiedervereinigung wurde - nach einem der wenigen guten Witze von Habermas - von Herrn Schäuble als Innenminister und Herrn Krause als seiner Zweitausführung in der DDR in der Einzahl ausgehandelt. Riesige Demonstrationen - zum Beispiel die in Bonn gegen den Raketen-Doppelbeschluss - wurden von Helmut Schmidt souverän weggewischt.

Fazit also: der Rechtslage nach waren die Massen seit Gründung der Republik zum Hinhören und Maulhalten prädestiniert.

Soweit das Recht. Wie es aber durchdrücken?

Die gesetzlichen Bestimmungen und gerichtlichen Entscheidungen sind das eine. Wie die Erfahrungen anderer Länder gezeigt haben, reicht das Gesetz auf dem Papier nicht aus. Es muss auch durchgesetzt werden. Das unfehlbare Mittel zu diesem Zweck: Spaltung.

Bekanntes Beispiel von 1973: Das Kernkraftwerk Brokdorf sollte von Staats wegen gegründet gegründet, von Volks wegen verhindert werden. Die Stimmung war geschlossen für: KKW – Nein Danke! Da gelang es, die Bewegung auseinanderzudividieren: die Anständigen sammelten sich - unter Dutschkes und der Frühgrünen Zuspruch - weit vom Schuss in Itzehoe und trällerten laut, entschlossen und folgenlos. Andere machten sich über die Marschen auf den Weg nach Brokdorf – und kamen gegen die Polizei nicht an. Spätere Greuelbilder von Behinderungen in Gemengelage: Polizist im Wassergraben. SPIEGEL und STERN schärften dem Publikum ein: die Stürmer waren auch die Gewalttäter. Vielen gruselte es pflichtmäßig und die KKWs wuchsen weitgehend unbehelligt.

Gegenbeispiel Wyhl: die dortigen Bauern und Winzer plus städtischer Zuzug waren recht kampfentschlossen. Späth und Filbinger taten gut daran, rechtzeitig den Hubschrauber zu erklimmen. Sie ließen sich nicht als Gewalttäter und Peaceniks gegeneinanderhetzen - und gewannen.

Noch einmal die Ära der Berufsverbote. Diese trafen ja real nur einige hundert, dem Verdacht nach tausende. Lähmten aber die Gewerkschaften vollkommen, vor allem solche, die meinten, sie müssten dem Staat zuvorkommen, bevor das Urteil der Gerichte gesprochen war. Die Ausschlüsse hinterließen einen allgmeinen Einschüchterungseffekt. Die Ausschlüsslinge hatten eine heftige Tendenz für den politischen Streik. Prompt hielten tausende die Klappe, die diese Tendenz geteilt hatten, ohne große Sympathien für DKP und KBW. Es dauerte nicht lange, und das Votum für einen spontanen Streik galt als untrügliches Zeichen für Linksabweichung- Mit Kaltstellung. Und so wurden mächtige Gewerkschaften zu den Jammerlappen und Bettvorlegern, die sie heute allzu oft darstellen.

Spaltung verstärkt Unterdrückung.

Was heißt das für die Situation heute?

Vielen dürften noch die Ereignisse im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm im Gedächtnis sein, als prophylaktisch Razzien bei etlichen Privatpersonen, Aktionsbüros und Hausprojekten durchgeführt wurden. Dass dies keine rechtliche Grundlage hatte, belegt unter anderem der Kommentar eines damaligen Ermittlers, der zum SPIEGEL meinte: "Wir haben in den Busch geschossen, nun sehen wir weiter, was und wer sich dort bewegt."

Beim eigentlichen Gipfel kam es dann während der zenralen Großdemonstrationen zu Unbotmäßigkeiten. Warum, wieso, weshalb und ob diese dumm, klug, verständlich oder sinnlos waren, lässt sich an dieser Stelle nicht kurz genug beantworten. Die abgegebenen Statements direkt oder kurz nach der Demonstration verdeutlichen aber, dass sich wieder mal eine Bewegung auseinanderreißen ließ. Bereits einen Tag nach den Ereignissen war es Peter Wahl von Attac möglich, sich eine differenzierte Übersicht über die Vorkommnisse zu machen. Er teilte die DemonstrantInnen in „friedliche“ und in „gewalttätige“ und spielte so locker flockig das alte Spiel der Reaktion mit.

Nun steht mit dem NATO-Gipfel wieder ein Großereignis ins Haus. Die Vorbereitung der Herrschenden ist mehr als deutlich – momentan wird ernsthaft in Betracht gezogen, vorübergehend Grenzkontrollen wieder einzuführen. Und dann gibt es natürlich passend zur Veranstaltung bald ein neues Versammlungsgesetz, das sich allerdings im Wesentlichen nicht durch neue besonders abscheuliche polizeiliche Möglichkeiten auszeichnet. Vielmehr werden größtenteils längst übliche Praxen qua Gesetz legitimiert. Dieses soll wieder einmal mögliche Massen zu allererst mit sich selbst beschäftigen lassen - kurzfristig für den NATO-Gipfel, aber auch mittelfristig. In Niedersachsen wird gerade ein ähnliches Gesetz auf den Weg gebracht, in Bayern gibt es das schon, weitere Länder werden voraussichtlich folgen.

Erfreulicherweise regt sich in Baden-Württemberg Widerstand, der vor allem bei erfolgreichen Demos in Mannheim, Stuttgart und Freiburg sichtbar wurde. Es bleibt aber zu befürchten, dass es bei möglichen Abweichungen vom vorgeschriebenen Pfad zu ähnlichen Szenen und Diskussionen innerhalb der Linken kommt. Das deutet sich bereits im Vorfeld an, die Gewaltfrage taucht allerorts auf – und einige Gruppierungen steigen aus den Bündnissen aus.

Dabei sollte doch langsam allen Beteiligten klar sein, mit wem wir es zu tun haben und zu welchen Mitteln von Staats wegen gegriffen wird. Das Prinzip ist seit Jahrzehnten dasselbe. Wir dürfen uns von den Teilungs- und Einschüchterungsversuchen nicht entmutigen lassen. Wir werden geschlossen und vor allem entschlossen für Veränderungen kämpfen.

Quelle: StattWeb

via trueten.de
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