Sonntag, 12. Juni 2011

»Juristische Feinarbeit leidet unter Verfolgungswillen«

Die Anklage gegen Inge Viett wegen Billigung von Straftaten erscheint als politisch motivierte Konstruktion. Ein Gespräch mit Sven Richwin
Interview: Claudia Wangerin
Der Berliner Rechtsanwalt Sven Richwin vertritt Inge Viett, der ein Strafprozeß wegen einer Äußerung bei der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz droht

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Anklage gegen Ihre Mandantin Inge Viett wegen Billigung von Straftaten erhoben, was nach Paragraph 140 mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. Es geht um die Aussage »Wenn Deutschland Krieg führt und als Antikriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion (…)«. Wie wahrscheinlich ist aus Ihrer Sicht eine Verurteilung wegen einer solchen Meinungsäußerung?
Das »Billigen« im Sinne des § 140 StGB ist nach einhelliger Rechtsprechung der Obergerichte als »nachträgliches Gutheißen einer konkreten Straftat« zu verstehen. Aufgrund der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit ist das durchaus restriktiv zu verstehen: Die genaue Angabe von Zeit und Ort ist zwar nicht unbedingt erforderlich, aber das konkrete Ereignis muß sich einem Zuhörer oder Leser schon unmittelbar erschließen. Ein Bezug auf konkrete Anschläge erschließt sich aber aus dem inkriminierten Text nicht. Offensichtlich nicht einmal den Ermittlungsbehörden, die erst einmal ziemlich wahllos diverse Brandanschläge zusammenrecherchierten und einige aus dieser Liste der Anklage beifügten. Derartige »Textergänzungen« sind aber genauso hanebüchen wie der Versuch, einen einzigen Satz aus dem Kontext einer mehrseitigen Rede herauszulösen. Hinzu kommt, daß der Vorbehalt »Wenn Deutschland Krieg führt« nach zur Zeit herrschender Rechtsauffassung gar nicht gegeben ist. Wie so oft bei politischen Prozessen leidet aber die juristische Feinarbeit bei der Staatsanwaltschaft unter dem erklärten Verfolgungswillen.

Könnte rein theoretisch das Widerstandsrecht greifen, wenn von deutschem Boden tatsächlich und offiziell Krieg ausginge, was grundgesetzwidrig ist?
Das Widerstandsrecht des Art 20 IV des Grundgesetzes ist für Fälle gedacht, in denen die grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes strukturell beseitigt werden sollten, etwa in Form eines Ermächtigungsgesetzes. Ob dies im Fall eines »offiziellen« Krieges der Bundesrepublik Deutschland quasi als »Ende einer Zivilverfassung« einschlägig wäre, wird ja teilweise diskutiert. Für staatliche Einzelmaßnahmen, die dem Grundgesetz widersprechen eröffnen sich aber meines Erachtens ganz andere Sanktionsmöglichkeiten, die das Grundgesetz selbst bereithält. Insbesondere ist dies das Instrument der Verfassungsbeschwerde. Dies klingt zwar harmlos und ist zudem zeitaufwendig, aber durchaus wirkungsvoll. Die enorm gewachsene Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts wäre jedoch ein extra Thema.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach hat Inge Viett wegen der besagten Äußerung sogar für einen Kabelbrand am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz mitverantwortlich gemacht, der lange danach gelegt wurde. Muß Ihre Mandantin sich Sorgen machen, in Zukunft an allem schuld zu sein, was irgendwie mit »Zündeln« zu tun hat?
Das ist natürlich nicht nur juristisch Quatsch. Man darf aber nicht vergessen, daß sich das Verfahren nur vordergründig gegen meine Mandantin richtet und von Anfang an versucht wurde, über den Zusammenhang Rosa-Luxemburg-Konferenz die Partei Die Linke und insbesondere Gesine Lötzsch im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahl zu beschädigen. Passenderweise findet sich in der Ermittlungsakte ein mehrstündiger Mittschnitt von »Anne Will«, in dem es ziemlich wenig um meine Mandantin und um so mehr um die »Kommunismus-Diskussion« in der Linkspartei geht. In diesem Zusammenhang ist wohl auch der Presserummel um das Verfahren zu sehen.

Dann wäre die eigentliche Zielperson ja nicht Inge Viett, sondern Gesine Lötzsch als Vorsitzende der Linkspartei. Was bedeutet es für diesen Staat, wenn mit Strafverfahren Politik gemacht wird?
Ausgangspunkt des Verfahrens für das LKA war die Berichterstattung von Berliner Morgenpost und Bild.de, als Zeuge wird ein Journalist der Bild am Sonntag benannt. Überschriften wie »Die Linke-Chefin und die Ex-Terroristin« zeigen dort die Stoßrichtung an. Der Kreis schließt sich, wenn etwa in der Berliner Morgenpost breit über ein Verfahren berichtet wird, das man selbst generiert hat, nicht ohne Querverweis auf die beabsichtigte Teilnahme von Gesine Lötzsch an der damaligen Podiumsdiskussion.

Dabei hält sich der Nachrichtenwert ziemlich in Grenzen: Prozessual hat zunächst die Staatsanwaltschaft lediglich beim Amtsgericht beantragt, das Hauptverfahren zu eröffnen. Weder ist dies bisher erfolgt noch sind gar Verhandlungstermine abzusehen.
Junge Welt, via trueten.de
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