Freitag, 1. Oktober 2010

Stuttgart 21: This is what Democracy looks like!

Gedächtnisprotokoll des Verletzten

Grafik: Kopperschlager.net

Bericht und Bilder
von trueten.de
von action-stuttgart
Macht euch bereit für die Notfallproteste! Macht euch bereit für die Notfallproteste!

Die Rechnung ist offen

Lesenswert, zum Tag der Okkupation von german-foreign-policy.com:
(Eigener Bericht) - Zwanzig Jahre nach Zusammenbruch der Nachkriegsordnung hoffen die deutschen Eliten auf eine endgültige Abwehr sämtlicher Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik. 1990 war es im Prozess der Auflösung der UdSSR gelungen, die ehemaligen Siegermächte gegeneinander auszuspielen und deren Verzicht auf einen regulären Friedensvertrag zu erreichen. Damit gingen Millionen Opfern deutscher Kriegs- und Menschheitsverbrechen unmittelbare Ansprüche gegen die vergrößerte Bundesrepublik verloren. Sie ist Erbin des Deutschen Reiches. Bis heute hat keiner der geschädigten Staaten von der Berliner Regierung konkrete Reparationen verlangt; lediglich Individualopfer wagen zu klagen - oft gegen den Widerstand ihrer heimischen Behörden. In Polen beugten sich Ende September Überlebende der "Reichsbahn"-Deportationen einem zwischenstaatlichen Geschäft und akzeptierten ein Bettelalmosen des Nachfolgeunternehmens DB AG. In Italien hat sich die Berlusconi-Regierung mit der Regierung Merkel verbündet, um gerichtliche Forderungen von NS-Opfern deutscher Massaker zu unterlaufen. In Frankreich finden Klagen von 600 Deportierten kein Gehör. Lediglich in den USA misslingt es der Berliner Außenpolitik und ihren Funktionsträgern, deutsche Nachfolger von NS-Unternehmen vor Restitution zu bewahren.
Auf Initiative des Abgeordneten im California State Capitol, Samuel Blumenfield, nahm der kalifornische Senat am 12. August ein Gesetz an, das im kommenden Januar rechtskräftig wird. Es verpflichtet Bewerber bei öffentlichen Ausschreibungen im US-Bundestaat Kalifornien zu Auskünften über ihre "Beteiligung an Deportationen in Vernichtungslager, Arbeitslager, Konzentrationslager, Kriegsgefangenenlager oder ähnliche Lager in der Zeit zwischen Januar 1942 und 31. Dezember 1944".[1] Die Verpflichtung gilt Interessenten, die sich um Aufträge bei Bahnprojekten für Hochgeschwindigkeitszüge bemühen.[2] Dafür stehen öffentliche Mittel im Wert von 9,95 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Bewerber, die ihre oder ihrer Vorgänger Beteiligung an den Deportationen eingestehen, müssen die Unternehmensarchive öffnen und darlegen, ob und gegebenenfalls wie sie die Opfer inkrimierter Handlungen entschädigt haben.

Export

Das Gesetz Nr. 619 richtet sich auch an Auftragsinteressenten, die zum Zeitpunkt der Tat "im Besitz eines ausländischen Staates waren".[3] Damit ist klar, dass insbesondere deutsche Unternehmen, die eine historische Beteiligung an NS-Deportationsverbrechen nicht leugnen können, über den Umgang mit ihrer moralischen Schuld und ihren finanziellen Schulden Auskunft geben müssen, sollten sie Aufträge erhalten wollen. Dies betrifft ebenso US-Unternehmen, die im Konsortialbesitz deutscher Firmen sind. Über solche Firmen verfügt unter anderem die Deutsche Bahn AG in den USA. Die DB AG und Siemens bereiten den Export ihres ICE-Netzes nach Nordamerika vor.[4]

Holocaust Responsibility Act

Ebenfalls betroffen sind die französischen Staatsbahnen (Société Nationale des Chemins de Fer). Die SNCF will sich einen erheblichen Anteil an der kalifornischen Auftragsvergabe sichern. Zwar hat der ehemalige Präsident der SNCF und heutige EADS-Manager Louis Gallois eine Beteiligung des Unternehmens an den Deportationen in Frankreich eingestanden. Sie führten durch das Deutsche Reich nach Auschwitz und bedeuteten für 78.000 Menschen den Tod. Einer Klage von 600 Überlebenden hat die SNCF jedoch erfolgreich widersprochen. Bei ihrer Weigerung, die Archive zu öffnen und Restitution zu gewähren, konnten die französischen Staatsbahnen auf Unterstützung der Pariser Behörden setzen. Sie halten Dossiers über französische Kollaborateure der deutschen Besatzungsdeportationen unter Verschluss. Das US-Gesetz Nr.619 ("Holocaust Responsibility Act") durchkreuzt die Strategie des Beschweigens und hat zu sofortigen Reaktionen der SNCF geführt.

Keine Genugtuung

Wie das Unternehmen jetzt bekannt gibt, habe es "nichts zu verbergen" und werde kooperieren.[5] Zugleich verweist die SNCF auf die eigentlichen Verantwortlichen: die deutsche Besatzungsmacht in Gestalt der Pariser Militärkommandantur und ihrer logistischen Handlanger im Reichsverkehrsministerium sowie bei der "Deutschen Reichsbahn". Die offenkundigen Zusammenhänge zwischen Mitschuld und Schuld führen zu den "Reichsbahn"-Erben im heutigen Bundesverkehrsministerium und bei der Deutschen Bahn AG. Mit Allgemeinplätzen über ihre fortdauernde "Verantwortung" ziehen diese die Mordbeihilfe des Vorgängerunternehmens nicht länger in Zweifel, aber verweigern sowohl moralische wie finanzielle Genugtuung in angemessenem Umfang.

Vergangenheit abschließen

Dabei kommt ihnen die deutsche Außenpolitik zu Hilfe, die es nutzt, dass bei der deutschen Vereinigung berechtigte Reparationsforderungen der Opfernationen zurückgestellt wurden - von den Siegermächten, die sich gegeneinander ausspielen ließen. Schnelle Erfolge verbuchte Berlin in Ostmitteleuropa, wo der Zusammenbruch der UdSSR Illusionen über einen kommenden Weltfrieden und die Pazifizierung deutschen Großmachtstrebens nährte. So unterzeichnete Polen 1991 einen "Deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag" [6], der dem polnischen Bestreben Ausdruck gibt, "die leidvollen Kapitel der Vergangenheit abzuschließen" - voraussetzungslos, insbesondere ohne Abtrag der deutschen Schulden, die einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag ausmachen. Eine Restitution der NS-Überlebenden wird an keiner Stelle erwähnt. Stattdessen verpflichtete sich die damalige polnische Regierung, in allen Belangen deutschen Interesses zu kooperieren.

Funktionsträger

Um unberechenbare Reaktionen der eigentlichen Opfer einzuhegen und ihre Forderungen behördlicher Kontrolle zu unterwerfen, sorgten die Regierungen in Polen und in den Nachbarstaaten für die Gründung staatlicher Mittlerorganisationen. Im Regelfall unterstehen sie den heimischen Außenministerien und fungieren als Puffer zwischen überlebenden Opfern und den deutschen Tätererben. Mit einem bedeutenden Funktionsträger deutscher Außen- und Wirtschaftspolitik arbeiten sie aufs engste zusammen: mit der Berliner Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ).

Verteilungsmonopol

Die Stiftung hatte nach der deutschen Vereinigung gegründet werden müssen, um dem politischen Druck der USA zu entgehen. Als Kompensation für die Zurückstellung von Reparationsforderungen verlangten US-Abgeordnete finanzielle Tribute der deutschen Wirtschaft. Die Unternehmen sollten vor US-Sammelklagen bewahrt werden ("Rechtsfrieden"), sofern sie in einen Fonds für überlebende Zwangsarbeiter des NS-Regimes einzahlten. Die Weiterleitung der Abgaben übernahm die EVZ. Was als Dienstleistungsunternehmen begann, wurde zu einem außenpolitischen Verteilungsmonopol für deutsche Einflussinteressen. Dem Kuratorium der EVZ sitzt ein langjähriger Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes (AA) vor, der 2004 Staatssekretär in der Präsidialverwaltung des deutschen Bundespräsidenten war.[7] Stellvertretender Vorsitzender ist der ehemalige deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, dem ein Ministerialdirektor und ein Vortragender Legationsrat des AA zur Seite stehen. Gemeinsam mit Vertretern des Bundesfinanzministeriums und mehreren Abgesandten maßgeblicher Fraktionen der deutschen Industrie [8] sowie Parlamentariern der Regierungsparteien befinden sie über die Opfergelder. Ihnen steht eine Minderheit ausländischer Mittlerorganisationen und deutscher Oppositionsparteien gegenüber. Die deutsche Zivilgesellschaft ist mit einer einflusslosen Stimme vertreten.[9]

Leistungsaufwand

Bei dem jüngsten Bettelalmosen, das DB AG und Verkehrsministerium den osteuropäischen "Reichsbahn"-Überlebenden gewährte, war der Vorstand der EVZ als Unterhändler beteiligt. Über das Ergebnis kann sich die DB AG freuen: Statt der geschuldeten "Reichsbahn"-Einnahmen in Höhe von 445 Millionen Euro zahlt das deutsche Großunternehmen lediglich 5 Millionen - oder 25 Euro pro Opfer.[10] Ihren Einsatz für den beabsichtigten "Rechtsfrieden" (den die DB AG benötigt, um in die osteuropäischen Staaten zu expandieren) lässt sich die EVZ entlohnen und kassiert von dem Bettelalmosen der "Reichsbahn"-Nachfolger "Verwaltungskosten".[11] Statt die deutsche Bringeschuld abzutragen, berechnen die Erben ihren Leistungsaufwand - eine Konsequenz des vor zwanzig Jahren versäumten Einbehalts deutscher Reparationen.

Fragil

Trotz der nie erfolgten Abrechnung, die Berlin 1990 verhindern konnte, bleibt der deutsche "Rechtsfrieden" fragil. So befand das höchste italienische Gericht, dass die Bundesrepublik wegen der NS-Massaker verklagt werden kann, und gab Pfändungen gegen die Deutsche Bahn AG frei.[12] Zwar haben die Regierungen Berlusconi und Merkel den Europäischen Gerichtshof angerufen, weil sie sich künftigen Milliardenforderungen nicht stellen wollen.[13] Aber dass ihre gemeinsamen Staatsinteressen die Opferansprüche aushebeln werden, ist nicht sicher. Klagen gegen die Bundesrepublik sind auch in Polen anhängig. Der 71-jährige Winicjusz Natoniewski erlitt bei einem deutschen Massaker schwere Verbrennungen und verlangt von der Bundesrepublik eine Entschädigung in Höhe von etwa 235.000 Euro.[14] Die Klage wurde vom obersten polnischen Gericht angenommen und soll bis zum Jahresende geprüft werden.[15] Der Klageweg wird auch in der Bundesrepublik für notwendig gehalten, nachdem EVZ und Deutsche Bahn die NS-Opfer mit 25 Euro abspeisten. Wie es in einer Stellungnahme der Bürgerinitiative "Zug der Erinnerung" heißt, werde das Großunternehmen seinen "Verpflichtungen nicht entgehen".[16] DieRechnung ist offen.
[1] Assembly Bill No.619/2010
[2] California High-Speed Rail Act
[3] Assembly Bill No.619/2010 - (3c)
[4] Siemens und Deutsche Bahn wollen ICE-Netz in den USA bauen; Spiegel online 22.08.2009
[5] Französische Bahn will Details zu Judendeportation nennen; Dnews.de 28.09.2010
[6] Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaftund freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.Juni 1991
[7] Michael Jansen
[8] Verband der Chemischen Industrie (VCI), Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, BMW AG, Bertelsmann AG, Volkswagen AG u.a.
[9] Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte, Köln
[10] Pressemitteilung des Zuges der Erinnerung Nr. 11-10, 28.09.2010
[11] zug-der-erinnerung.eu/aktuell.html
[12] s. dazu Auf den Tod der Opfer setzen
[13] s. dazu Ein immuner Staat und Totalabwehr
[14] s. dazu Hoheitliche Morde sowie unsere Rezension des Buches Der letzte Tag von Borów von Konrad Schuller
[15] Polen prüft Entschädigungsantrag; ntv.de 29.12.2009
[16] Pressemitteilung des Zuges der Erinnerung Nr. 11-10, 28.09.2010
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