S21: Polizei bewacht den Bauzaun jetzt rund um die Uhr

Die Ordnungshüter ändern ihre Strategie, weil die Demonstrationen zum zweiten Mal Ausgangspunkt illegaler Aktionen gewesen sind. Die Grünen und die SÖS distanzieren sich von den Besetzungsaktionen. Doch die Parkschützer harren aus - trotz 80 Euro "Wegtragegebühr".

Von Susanne Janssen und Jörg Nauke


Ein Dutzend Stuttgart-21-Gegner harrt auch im strömenden Regen unter der aufgespannten Plane aus. Die Nacht war unruhig: "Um 3 Uhr kamen zwei Lastwagen mit neuen Containern - ausgerechnet um die Uhrzeit", sagt Mike, der von Polizisten unsanft geweckt wurde. Wer nicht freiwillig die Zufahrt zum Nordflügel räumte, wurde von Polizisten weggetragen. "Wir müssen mit einer Anzeige wegen Nötigung rechnen und die Kosten für den Polizeieinsatz zahlen", berichtet Mike. Rund 40 Beamte seien im Einsatz gewesen - gegen eine Handvoll Teilnehmer der ständigen Mahnwache. Mike und Ulrike, die seit dem frühen Morgen vor dem Nordflügel sitzt, machen weiter, "auch wenn die ersten Steine abgetragen werden". Die Polizeibeamten, die eigentlich bisher freundlich gewesen seien, befänden sich auch im Gewissenskonflikt, meint die Frau: "Viele sind gegen das Projekt, und sie müssen nun ständig Überstunden machen."

Derweil stehen zwei Streifenwagen in nächster Nähe. Die Polizei wird nun rund um die Uhr am Nordflügel des Hauptbahnhofs präsent sein - ein Teil der neuen Polizeistrategie, wie deren Sprecher Stefan Keilbach erklärt: "Man wird die Polizei mehr sehen als bisher." Dies betreffe nicht nur die Überwachung der Baustelle rund um die Uhr, sondern auch die angemeldeten Demonstrationen. Schon zum zweiten Mal, so Keilbach, seien friedliche Kundgebungen für illegale Aktionen ausgenutzt worden. "Wir werden nun näher dran sein und schneller einschreiten", kündigt der Polizeisprecher an: "Die Aktivisten fordern das selbst heraus."

Für das eigentliche Baustellengelände sei die Bahn zuständig, die Polizei müsse aber einschreiten, wenn Straftaten im Raum stehen - und das sei bei einer Blockade der Zufahrt der Fall. Von den sogenannten Sitzdemonstranten werde eine Wegtragegebühr verlangt, die bei 40 Euro pro Beamten liege - im Durchschnitt müsse ein Aktivist also mit 80 Euro rechnen, dazu mit einer Anzeige wegen Nötigung. Im Rahmen der Aktionen sei es auch schon zu Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen gekommen.

Die Polizei will die Teilnehmer auch verstärkt kontrollieren: "Eine Metallsäge gehört nicht zu den Gegenständen, die man normalerweise zu einer Demonstration mitnimmt", kommentiert Keilbach die Art und Weise, wie die Gegner den Bauzaun aufgebrochen haben sollen. Bisher habe sich die Polizei bewusst zurückgehalten, weil sie sich laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes "versammlungsfreundlich" verhalten soll. Jetzt sei bei dem Protest aber die Grenze des Zulässigen überschritten, so der Polizeisprecher: "Die Aktivisten haben die geringe Polizeipräsenz ausgenutzt." Jetzt würden die Ordnungshüter "filigrane und vielfältige Einsatzmöglichkeiten" nutzen, die der Pressesprecher nicht näher erklären will - es sollen aber auch Videoüberwachung und Videoaufzeichnungen genutzt werden.

Am 26. Juli war der Nordflügel von Demonstranten vorübergehend besetzt worden; als vier Tage später der Bauzaun errichtet wurde, gab es erneut Widerstand. Die Polizei geht nun davon aus, dass immer wieder die Zufahrt zur Baustelle blockiert werden könnte. Der Ton werde rauer: "Es wird zu Spaziergängen zu bestimmten Baufirmen aufgefordert, es gibt Beschimpfungen und Beleidigungen", so Keilbach.

Für die Beamten bedeutet dies vor allem jede Menge Überstunden. Schon jetzt hätten neben der Bereitschaftspolizei auch andere Hundertschaften der Landespolizeidirektion I geholfen. Der Dauereinsatz am Hauptbahnhof werde gemeinsam geschultert: "Wir nehmen das in Kauf, solange es bestimmte Grenzen nicht überschreitet", sagt der Polizeisprecher.

Matthias von Hermann, der Sprecher der Parkschützer, die für die Aktion am Montag verantwortlich war, hält die polizeiliche Dauerpräsenz am Bauzaun für überflüssig, denn: "Wir machen nicht zweimal die gleiche Aktion." Notwendig seien sie allein deshalb, weil der Protest von der Gegenseite nicht ernst genommen werde.

Der Sprecher macht aber deutlich, dass allen Aktionen gemein sei, dass sie gewaltfrei blieben, man keine Sachbeschädigung betreibe ("Es wäre ein Leichtes gewesen, ein paar Scheiben einzuwerfen") und sich die Handlungen direkt auf das Projekt beziehen würden. Am Freitag werde man einen Demonstrationszug planen, bei dem geschwiegen werde. "Wir brauchen unsere Argumente nicht mehr zu wiederholen", sagt von Hermann, der den Protest weiter vielfältig gestalten will. Neben Großveranstaltungen seien auch Vorträge oder Aktionen wie das Bäumemalen für Kinder und ein Familienpicknick am Samstag im Schlossgarten geplant.

Kritischer sieht der Grünen-Fraktionschef im Rathaus, Werner Wölfle, den vergangenen Montag. "Was hat man mit dem Öffnen des Bauzauns bewiesen - außer, dass man eine Flex besitzt?" Wölfle sieht den SÖS-Stadtrat und Aktionsbündnissprecher Gangolf Stocker an seiner Seite, der extra noch wenige Minuten vor der Aktion auf der Montagsdemo den Zaun als Symbol des Widerstands bezeichnet und ihn zumindest theoretisch in Besitz genommen habe. "Wir sind doch auf ein gedeihliches Miteinander mit den Ordnungsbehörden angewiesen", so Wölfle. Jetzt habe man, wohl um dem Fernsehmagazin Frontal 21 gute Bilder zu liefern, "der Polizei einen Vorwand geliefert, gewaltiger aufzutreten". Eine grüne Wand vor dem Bauzaun gebe den Protestversammlungen "ein anderes Gesicht, und zwar eines, das wir nicht haben wollen". Von Hermann sagt hingegen, das widerrechtliche Betreten des Bahngeländes und die Berichterstattung von Frontal 21 seien zufällig zusammengefallen.

Quelle: Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 18.08.2010
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