Mittwoch, 18. August 2010

S21: Polizei bewacht den Bauzaun jetzt rund um die Uhr

Die Ordnungshüter ändern ihre Strategie, weil die Demonstrationen zum zweiten Mal Ausgangspunkt illegaler Aktionen gewesen sind. Die Grünen und die SÖS distanzieren sich von den Besetzungsaktionen. Doch die Parkschützer harren aus - trotz 80 Euro "Wegtragegebühr".

Von Susanne Janssen und Jörg Nauke


Ein Dutzend Stuttgart-21-Gegner harrt auch im strömenden Regen unter der aufgespannten Plane aus. Die Nacht war unruhig: "Um 3 Uhr kamen zwei Lastwagen mit neuen Containern - ausgerechnet um die Uhrzeit", sagt Mike, der von Polizisten unsanft geweckt wurde. Wer nicht freiwillig die Zufahrt zum Nordflügel räumte, wurde von Polizisten weggetragen. "Wir müssen mit einer Anzeige wegen Nötigung rechnen und die Kosten für den Polizeieinsatz zahlen", berichtet Mike. Rund 40 Beamte seien im Einsatz gewesen - gegen eine Handvoll Teilnehmer der ständigen Mahnwache. Mike und Ulrike, die seit dem frühen Morgen vor dem Nordflügel sitzt, machen weiter, "auch wenn die ersten Steine abgetragen werden". Die Polizeibeamten, die eigentlich bisher freundlich gewesen seien, befänden sich auch im Gewissenskonflikt, meint die Frau: "Viele sind gegen das Projekt, und sie müssen nun ständig Überstunden machen."

Derweil stehen zwei Streifenwagen in nächster Nähe. Die Polizei wird nun rund um die Uhr am Nordflügel des Hauptbahnhofs präsent sein - ein Teil der neuen Polizeistrategie, wie deren Sprecher Stefan Keilbach erklärt: "Man wird die Polizei mehr sehen als bisher." Dies betreffe nicht nur die Überwachung der Baustelle rund um die Uhr, sondern auch die angemeldeten Demonstrationen. Schon zum zweiten Mal, so Keilbach, seien friedliche Kundgebungen für illegale Aktionen ausgenutzt worden. "Wir werden nun näher dran sein und schneller einschreiten", kündigt der Polizeisprecher an: "Die Aktivisten fordern das selbst heraus."

Für das eigentliche Baustellengelände sei die Bahn zuständig, die Polizei müsse aber einschreiten, wenn Straftaten im Raum stehen - und das sei bei einer Blockade der Zufahrt der Fall. Von den sogenannten Sitzdemonstranten werde eine Wegtragegebühr verlangt, die bei 40 Euro pro Beamten liege - im Durchschnitt müsse ein Aktivist also mit 80 Euro rechnen, dazu mit einer Anzeige wegen Nötigung. Im Rahmen der Aktionen sei es auch schon zu Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen gekommen.

Die Polizei will die Teilnehmer auch verstärkt kontrollieren: "Eine Metallsäge gehört nicht zu den Gegenständen, die man normalerweise zu einer Demonstration mitnimmt", kommentiert Keilbach die Art und Weise, wie die Gegner den Bauzaun aufgebrochen haben sollen. Bisher habe sich die Polizei bewusst zurückgehalten, weil sie sich laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes "versammlungsfreundlich" verhalten soll. Jetzt sei bei dem Protest aber die Grenze des Zulässigen überschritten, so der Polizeisprecher: "Die Aktivisten haben die geringe Polizeipräsenz ausgenutzt." Jetzt würden die Ordnungshüter "filigrane und vielfältige Einsatzmöglichkeiten" nutzen, die der Pressesprecher nicht näher erklären will - es sollen aber auch Videoüberwachung und Videoaufzeichnungen genutzt werden.

Am 26. Juli war der Nordflügel von Demonstranten vorübergehend besetzt worden; als vier Tage später der Bauzaun errichtet wurde, gab es erneut Widerstand. Die Polizei geht nun davon aus, dass immer wieder die Zufahrt zur Baustelle blockiert werden könnte. Der Ton werde rauer: "Es wird zu Spaziergängen zu bestimmten Baufirmen aufgefordert, es gibt Beschimpfungen und Beleidigungen", so Keilbach.

Für die Beamten bedeutet dies vor allem jede Menge Überstunden. Schon jetzt hätten neben der Bereitschaftspolizei auch andere Hundertschaften der Landespolizeidirektion I geholfen. Der Dauereinsatz am Hauptbahnhof werde gemeinsam geschultert: "Wir nehmen das in Kauf, solange es bestimmte Grenzen nicht überschreitet", sagt der Polizeisprecher.

Matthias von Hermann, der Sprecher der Parkschützer, die für die Aktion am Montag verantwortlich war, hält die polizeiliche Dauerpräsenz am Bauzaun für überflüssig, denn: "Wir machen nicht zweimal die gleiche Aktion." Notwendig seien sie allein deshalb, weil der Protest von der Gegenseite nicht ernst genommen werde.

Der Sprecher macht aber deutlich, dass allen Aktionen gemein sei, dass sie gewaltfrei blieben, man keine Sachbeschädigung betreibe ("Es wäre ein Leichtes gewesen, ein paar Scheiben einzuwerfen") und sich die Handlungen direkt auf das Projekt beziehen würden. Am Freitag werde man einen Demonstrationszug planen, bei dem geschwiegen werde. "Wir brauchen unsere Argumente nicht mehr zu wiederholen", sagt von Hermann, der den Protest weiter vielfältig gestalten will. Neben Großveranstaltungen seien auch Vorträge oder Aktionen wie das Bäumemalen für Kinder und ein Familienpicknick am Samstag im Schlossgarten geplant.

Kritischer sieht der Grünen-Fraktionschef im Rathaus, Werner Wölfle, den vergangenen Montag. "Was hat man mit dem Öffnen des Bauzauns bewiesen - außer, dass man eine Flex besitzt?" Wölfle sieht den SÖS-Stadtrat und Aktionsbündnissprecher Gangolf Stocker an seiner Seite, der extra noch wenige Minuten vor der Aktion auf der Montagsdemo den Zaun als Symbol des Widerstands bezeichnet und ihn zumindest theoretisch in Besitz genommen habe. "Wir sind doch auf ein gedeihliches Miteinander mit den Ordnungsbehörden angewiesen", so Wölfle. Jetzt habe man, wohl um dem Fernsehmagazin Frontal 21 gute Bilder zu liefern, "der Polizei einen Vorwand geliefert, gewaltiger aufzutreten". Eine grüne Wand vor dem Bauzaun gebe den Protestversammlungen "ein anderes Gesicht, und zwar eines, das wir nicht haben wollen". Von Hermann sagt hingegen, das widerrechtliche Betreten des Bahngeländes und die Berichterstattung von Frontal 21 seien zufällig zusammengefallen.

Quelle: Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 18.08.2010
Macht euch bereit für die Notfallproteste! Macht euch bereit für die Notfallproteste!

S21: Weg mit den Wegtragegebühren!

Grundlage der 80€ Wegtragegebühr ist die in Baden - Württemberg seit Anfang der 80er Jahre geregelte "Polizeikostenverordnung". Was wurde aus der Klage vor dem BVG?

"Erst kurz vor dem, von den Veranstaltern ohnehin vorgesehenen, Ende der Aktion begannen Polizeibeamte mit dem Wegtragen der Blockierer. Ihre Personalien wurden aufgenommen. Ihnen droht nach der baden-württembergischen Polizeikostenverordnung ein saftiger Kostenbescheid. Es wird dennoch nicht die letzte Blockadeaktion vor dem Stuttgarter EUCOM gewesen sein." (DKP)

"Tausende von FriedensblockiereInnen wurden verhaftet und wegen "gewaltsamer Nötigung" verurteilt. Viele saßen ihre Strafen im Gefängnis ab. Der damalige baden-württembergischen Innenminister Roman Herzog erließ extra eine "Polizeikostenverordnung", nach der die Demonstranten für ihre Verhaftung auch noch zahlen sollten." (VVN-BdA)

"Baden-Württembergs Polizei droht im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen Castor-Transporte vor zwei Wochen in Philippsburg und jetzt in Neckarwestheim mit einer sogenannten "Wegtragegebühr". Es handelt sich dabei um keine Neuheit, sondern um die in den 80er Jahren anläßlich der zahlreichen Sitzblockaden am Atomraketenlager Mutlangen in BaWü als einzigem Bundesland eingeführten "Polizeikostenverordnung".

Ob diese Verordnung rechtmäßig ist, steht noch gar nicht fest. Seit Jahren ist eine Klage dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Es kann sich also für alle Betroffenen lohnen, Widerspruch einzulegen. Wichtig: Selbst wer bezahlt, ist damit weder einer Straftat noch einer Ordnungswidrigkeit überführt. Das Geld ist weder Strafe noch Bußgeld, sondern eine Art Verwaltungsgebühr, wie z.B. wenn mensch sich einen neuen Reisepaß ausstellen lässt.

Diejenigen, die sich statt Widerspruch entscheiden zu zahlen - es handelt sich meist um einen Betrag zwischen 100 und 200 DM - sind mit der finanziellen Last nicht alleine. Die Anti-Atom- Bewegung hat erkannt, daß es wichtig ist, hier solidarisch zu sein. Denn nur manche haben unter der Woche Zeit, sich in Philippsburg oder Neckarwetsheim querzustellen. Andere müssen arbeiten, verdienen dabei aber ein paar Mark, die sie widerum spenden können, damit die "Wegtragegebühr" nicht an denen hängenbleibt, die schon so einiges auf sich nehmen. (...)"
  (Schwarze Katze)

"Entsprechend der Tendenz, den Polizeietat durch Erhebung von Kosten zu entlasten, haben einige Länder spezielle Rechtsgrundlagen für die Kostenüberwälzung in diesen Fällen geschaffen. Sie entsprechen damit dem Urteil des OVG Lüneburg (NVwZ 84, S. 323 ff.), das die Grundsätze für die Abwälzung von Polizeikosten für die Räumung des Anti - Atomdorfs Grohnde bestimmte und dazu als wesentliche Voraussetzung festhielt: “die Heranziehung zu Polizeikosten, insbesondere bei Großeinsätzen ..., stellt nämlich eine besonders bedeutsame Angelegenheit dar, die, zumal dann, wenn das Recht auf Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit (Art. 5, 8) berührt werden, als „wesentliche Grundentscheidung“ i.S. der Rechtsprechung des BVerfG angesehen werden muß; sie ist daher ausdrücklich und allein vom Gesetzgeber zu treffen.“ (Knemeyer, 5. Aufl., S. 176). Daraufhin hat auch Bayern (sowie Baden-Württemberg und Niedersachsen) entsprechende Regelungen getroffen. Mit der Novelle vom 21.7.1983 trat eine bemerkenswerte Änderung des bis dahin geltenden Rechts der Kostenhaftung für Maßnahmen der Polizei. Vor 1983 kennzeichnete sich die Kostenhaftung für polizeiliche Maßnahmen durch eine eigentümliche Zweigleisigkeit. Einerseits enthielt das PAG aus dem Jahr 1978 in Anlehnung an den Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes Regelungen über die Pflicht des Störers zur Tragung des der Polizei konkret entstandenen Aufwands in den Fällen der Ersatzvornahme Art. 55 PAG i.d.F. von 1990 und der unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme Art. 9 II PAG. In diesen Regelungen war im Übrigen pauschal auf das Kostengesetz idF. von 1969 BayKG verwiesen worden. Jedoch verwendete das KG einen eigenen, abweichenden Kostenbegriff. Danach diente der Begriff „Kosten“ als Oberbegriff einerseits für die öffentlich- rechtliche Entgeltsabgabe „Gebühr“ und andererseits für die daneben zu erhebende Auslagen. Bemerkenswert ist jedoch in diesem Zusammenhang, dass für die Anwendung unmittelbaren Zwangs keine Kostenerstattungspflicht i.S.v. § 1 I BayKG des Störers vorgesehen war. Dabei ist hervorzuheben, dass das Kostengesetz bis zu der im Sommer 1983 geschaffenen und neuen Rechtsgrundlage innerhalb des Art. 3 über die Nichterhebung von Kosten in Abs. 1 folgende Spezialvorschrift enthielt: „Kosten werden nicht erhoben für.... 10. Amtshandlungen, die von der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 2 PAG vorgenommen werden, soweit nichts anderes bestimmt ist; sind diese Amtshandlungen von einem Beteiligten beantragt oder sonst veranlaßt und werden sie nicht überwiegend im öffentlichen Interesse vorgenommen, dann sind von dem Beteiligten Kosten zu erheben, soweit dies der Billigkeit nicht widerspricht.“

Damit schrieb das Kostengesetz für den Fall, dass bei der Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe das öffentliche Interesse überwog, grundsätzlich Kostenfreiheit vor, und zwar selbst dann, wenn die fragliche Amtshandlung der Polizei „von einem Beteiligten beantragt oder sonst veranlaßt war“.

Die heutige Rechtslage
Mit dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des PAG änderte sich die Rechtslage ab 1983 grundlegend. Mit der Novelle 1983 wurde Art. 54a, heute (seit der Fassung von 1990) Art. 76, in das PAG (Verhältnis zum Kostengesetz) eingefügt, wonach „ Art.3 KG nicht anzuwenden ist“, soweit dieses Gesetz die Erhebung von Kosten bestimmt. 268 Der Begriff „Kosten“ umfasst seit der Novelle von 1983 Gebühren und Auslagen (Art. 1 Abs. 1 KG). Mit der Gebühr wird der allgemeine Personalaufwand abgegolten. Auslagen sind die besonderen, ausscheidbaren Aufwendungen der handelnden Behörde (Art. 13 I KG) und die Schreibauslagen (Art. 12 KG). Zu den Bestimmungen des PAG, die eine Kostenpflicht begründen, gehört die Ersatzvornahme gem. Art. 55 und Art. 58 III die Anwendung unmittelbaren Zwangs. Dass die dort genannten Maßnahmen damit nicht der Kostenfreiheit des Art. 3 KG unterliegen, wird von Art. 76 S. 1 deklaratorisch klargestellt. Die konstitutive Wirkung liegt bereits in den genannten Vorschriften des PAG. Art. 76 S.1 genießt als später erlassenes Gesetz wie auch als Spezialregelung für die Erhebung von Polizeikosten Vorrang vor Art. 3 KG und hebt diese Vorschrift auf. Kostenfreiheit gilt demnach praktisch für alle anderen Maßnahmen nach dem PAG, die nicht in dem vorstehenden Katalog enthalten sind, weil die Polizei aufgrund des PAG immer überwiegend im öffentlichen Interesse tätig wird und zwar auch dann, wenn sich hierbei gem. Art. 2 II PAG um den Schutz privater Rechte handelt. Art. 76 S. 2 besagt, dass die Höhe der nach dem PAG festzusetzenden Gebühren nach dem Verwaltungsaufwand und der Bedeutung der Amtshandlung zu bemessen ist und wiederholt Bemessungsgrundsätze, die auch in Art. 6 KG angewendet werden. Das dient dem Ziel, den kostenrechtlichen Teil des PAG zu verselbständigen und im Wesentlichen von den allg. Vorschriften unabhängig zu machen. Damit werden auch die in den Art. 6, 8 KG enthaltenen Grundsätze für die fallbezogenen Konkretisierung von Rahmengebühren durch Art. 76 S. 2 PAG ersetzt. Die in den Art. 6, 8 KG vorgesehene Berücksichtigung der „allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse“ der Beteiligten und der „wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenschuldners“ schließt Art. 76 S. 2 PAG aus.  (...)"
"Polizei und Sicherheitsrecht" S. 267 ff
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