Was steht hinter der „Grünen Welle“ im Iran?

Seit dem putschartigen Wahlbetrug zugunsten des erzkonservativen Fundamentalisten Mahmood Ahmadinedschad geht es im Iran drunter und drüber. Eine Freiheitsbewegung hat sich erhoben, um gegen die illegitimen Machtverhältnisse binnen der islamischen Republik anzukämpfen. Interessant ist zunächst eine Autopsie dieser Bewegung. Welche gesellschaftlichen Schichten sind darin vertreten? Ein Blick auf die aktuellste Alterspyramide gibt schon viel her. Demnach sind 70 % der Bevölkerung im Iran nicht älter als 35 Jahre alt. Dass diese Bewegung, vor allem in ihrer Anfangsphase, größtenteils von der Dynamik der jungen Menschen getragen wird, bestätigen auch die Listen der Vermissten, Verhafteten und Getöteten. Was aus den zahlreichen Amateuraufnahmen – den einzigen Quellen aus dem Kommunikationsfriedhof Iran – weiterhin heraussticht, ist die Tatsache, dass unabhängig vom Wohl -  und Bildungsstand Menschen aus allen Kreisen bei den Protesten vertreten sind.

Ein Blick auf die Verhältnisse vor der Präsidentschaftswahl hilft, die aktuellen Ereignisse besser zu greifen. In der Ära Ahmadinedschad häufte sich eine wirtschaftliche Misere, wie z.B. die Inflation oder die immer noch hohe Arbeitslosigkeit, neben die andere. Begünstigt wurde dies durch Ahmadinedschads Kuschelpolitik, in welche er sämtliche Freunde und Verwandte als nette Geste mit bedeutenden Ministerposten beglückte. Seine aggressive, teilweise schwer ernst zu nehmende diplomatische Einstellung verursachte zudem zunehmende außenpolitische Isolation. Hinzu kommt die steigende soziale Unzufriedenheit innerhalb des Irans, der Hauptfaktor und Auslöser des ganzen Prozesses. Am auffälligsten waren dabei die erhöhte Anzahl von Polizei- sowie Milizenkräften und eine damit steigende Alltagsrepression. In diesem Rahmen verstärkte der paranoide Alt- und Neupräsident präventiv die Überwachung an iranischen Hochschulen enorm. Er ließ Unis verschärfter gegen DissidentInnen vorgehen, um soziale Unruhen, welche seinem Erachten nach ausschließlich durch StudentInnen angezettelt werden, schon im Keim zu ersticken. Als Antwort darauf sind die sozialen Bewegungen erstarkt, da die politischen, sowieso sehr zerbröselten StudentInnenverbindungen zwar zerschlagen wurden, die AktivistInnen sich aber in außerstudentischen Bewegungen – insbesondere die der Frauen und ArbeiterInnen – mit einbrachten. So war es ironischer weise unter der Ära jenes kontrollwahnsinnigen Unterdrückers Ahmadinedschad, dass wutgeladene Gruppierungen aus der APO sich in Öffentlichkeitsarbeit teilweise radikal gegen das System äußerten. Trotz steigender Repression und Verfolgung kam es gehäufter denn je zu Protestkundgebungen, Streiks und zum ersten Mal in der Geschichte der islamischen Republik zu mehreren, effektiven Gewerkschaftsgründungen.
Es ist also nicht verwunderlich, dass IranerInnen weltweit mit einer Rekordbeteiligung von knapp 85% zu den Wahlurnen gestürmt sind. In jenem Juni 2009 bestand die Möglichkeit, Ahamdinedschad in einem Kraftakt abzuwählen – ein bis dato nie dagewesenes Phänomen in der Geschichte der islamischen Republik - und die Verhältnisse zu verbessern. Doch vergessen wir eines nicht: der allmächtige Wächterrat im islamischen Iran lässt neben verdächtiger Wahldurchführung lediglich Kandidaten antreten, die durch ein strenges Auswahlverfahren kommen. Und aufgrund dieser Tatsache kommt es schon zum ersten Missverständnis: auch der diesjährige Spitzenkandidat, Mir Hossein Mussawi, stellte nie den großen Reformhelden, wie einst der gescheiterte Chatami, dar. Ganz im Gegenteil trägt er eine Vergangenheit mit sich: Als Khomeinis erster Premierminister der islamischen Republik sieht er sich selbst nach wie vor als „Säule der islamischen Revolution“ von 1979. Unter ihm trat die die sog. Kulturrevolution in Kraft, ein Bündel von Gesetzen und Vorschriften (u.a. die Kopftuchpflicht), welches insbesondere Frauen und Minderheiten diskriminiert.

Nicht zu vergessen ist seine maßgebliche Anteilnahme an den Massenhinrichtungen in den 80ern, als der Klerus zig Tausende politische Gefangene per Mord beseitigte. Nach jüngster Eigenaussage war seine Zeit als Premier, geprägt von Mord, Terror und Hinrichtung, die „stabilste Ära der islamischen Republik“. Dieses Jahr verfolgte Mussawi lediglich das Ziel, durch reformistisches Verhalten die durch Ahmadinedschad aufgebrachte Bevölkerung zu stillen, um so das Grundgerüst der islamischen Republik zu festigen.

Die Menschen im Iran waren stets über die Person Mussawi aufgeklärt, schließlich haben sie ihn als Premier teilweise miterlebt. In erster Linie handelt es sich bei der sog. Grünen Welle um Protestwähler gegen den erzkonservativen Islam-Fanatiker und Holocaust-Leugner Ahmadinedschad. Jener Mussawi spielt bei dieser Präsidentschaftswahl die Rolle eines ungewöhnlichen Phänomens. Natürlich befindet sich unter seinen WählerInnen ein Teil, welcher tatsächlich vollstes Vertrauen in ihn steckt. Doch eine anfängliche Minderheit sah den Ex-Premierminister als Mittel zum Zweck. Auch sämtliche vorhin erwähnte, linksgerichtete AktivistInnen stimmten trotz seiner düsteren Vergangenheit für ihn. Sie hingegen sahen in Mussawi nichts weiter als einen Mediator und planten, seine Wahlversprechen als Freiraumschaffung zu nutzen, um mehr soziale Bewegungsflexibilität zu erlangen und so schließlich das islamische System an sich in Frage stellen zu können. Diese Minderheit von Andersdenkenden nimmt mit zunehmender Brutalität seitens des Staatsapparates in der Tendenz zu. Handelte es sich anfangs um auf den Wahlbetrug bezogene Parolen wie „Wo ist meine Stimme?“, richtet sich der Schrei der DemonstrantInnen mehr und mehr gegen die Schuldigen ganz oben. So lösen Parolen wie „Nieder mit dem Diktator“, „Nieder mit Khamenei“, oder vereinzelt gar „Nieder mit der islamischen Republik“ die anfänglichen Wahlbetrugsbeschwerden ab.

Mussawi ist somit nicht – wie fälschlicherweise oft behauptet – der Kopf der Bewegung. Viel mehr benutzt dieses dezentrale Bündnis ihn und andere prominente, sympathisierende Prominente aus dem politischen System als eine Art Legitimationsschild. Wenn Mussawi zu Demos aufruft, folgen die dann in Massen anwesenden ProtestlerInnen nicht dem Ruf des oft als „Helden der Bewegung“ Gepriesenen; viel mehr nutzen sie diese Gelegenheit einer offiziellen, deswegen nicht so einfach niederzuknüppelnden Versammlung zur Vernetzung untereinander. In diesem Sinne wurden einige andere seiner Aussagen, wie beispielsweise seine „bedingungslose Distanzierung von GewalttäterInnen“, gekonnt übergangen. Mussawi führt diese Bewegung nicht, die Bewegung führt ihn.

Analytisch gesehen stehen die FreiheitskämpferInnen im Iran noch vor viel Arbeit. Diese Bewegung besteht momentan aus einem breiten Bündnis, welches sich im Kampf gegen die bestehenden, polizeistaatlichen Verhältnisse einigt und als geschlossene Faust punktuell und konzentriert gegen jene vorgeht. Doch sobald diese Faust aufgrund von internen Uneinigkeiten – welche natürlicherweise früher oder später definitiv vorliegen werden – zu erschlaffen droht, müssen sich die einzelnen Finger strecken und das System synchron von mehreren Seiten angreifen. Es liegt nun in der Verantwortung der sozialen Bewegungen, sich in diese Finger zusammenzufinden und sich dauerhaft zu etablieren.

Denn eins ist klar: Auf kurz oder lang kann nur die Abschaffung der islamischen Republik, d.h. eines neoliberales, staatskapitalistisches Unterdrückungssystem mit repressiven paramilitärischen Organen, getarnt in einem demokratischen Mantel, der in einer Wahlinszenierung an die Öffentlichkeit gelangen soll, den Menschen im Iran die ersehnte Freiheit bringen.

Via: UIJSPA (Unabhängige iranische Jugend; StudentInnen u. politische AktivistInnen): www.uijspa.blogspot.com

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